Brief vom 31.10.1916

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E.[ingang] 10.XI [19]16 31. Okt. 1916

Liebe Eltern!

Wie immer befinde ich mich
wohl und munter – Gott sei’s
gedankt. Die Post arbeitet jetzt
ziemlich regelmäßig. Die Verhält-
nisse sind hier ziemlich stationär
geworden. Wir müssen die Ru-
mänen von jeder Bergkuppe ver-
jagen.
Ich schicke Euch hiemit noch zwei
Bilder aus Frankreich (Singly)(1), Zeiten
die hinter mir liegen.
Ich will nun im Zusammen-

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Anmerkung:

(1) Singly: Ort in den Ardennen

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hang erzählen.

Nach der Besetzung von Kronstadt(1) mussten die Rumä-
nen über die Pässe geworfen werden, eine sehr schwierige Arbeit,
da die R.[umänen] überall über vorbereitete, seit langem vorbereitete
Stellungen verfügten. Den ersten Widerstand leistete der Feind
auf den beherrschenden Höhen vor Predeal(2) insbesondere dem
Czaplyat (1.059). Er hielt sich nicht lange. Man hat hier den
Krieg zu einem technischen Kunststück gemacht, gewissermassen
industrialisiert. Artillerie beschießt die fdl. Stellungen, tun’s
3 Batterien nicht, so tun es 6 oder 12! Reicht leichtes Ka-
liber nicht aus[,] so nimmt man 21 cm Mörser (unser bad.[isches]
Fußa.[rtillerie] Reg[iment] 14) oder 30,5 cm Motormörser. Nach Materi-
al und Munition haben wir nicht zu fragen, offenbar[,]
und so schonen wir das kostbarste, was wir haben, die
Menschen. Der Sturm auf den Czaplyat ging beinahe
ohne jeden Verlust für die Infanterie ab. Diese spazier-

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Anmerkungen:

(1) Stadt in Siebenbürgen
(2) Predeal liegt direkt auf der Passhöhe in 1.093 Meter beim Überschreiten der Karpaten.

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te geschützt durch ein überwäl-
tigendes Art.feuer, dem die
R.[umänen] nichts, nein nichts entge-
genzusetzen haben, den sehr
steilen Weg hinauf. Die R.[umänen]
erschüttert durch das Feuer aller
Kaliber, ergaben sich, soweit
sie nicht tot in den verschütte-
ten Gräben lagen. Die R.[umänen] sind
zu bewundern daß sie über-
haupt stand halten.

Nunmehr hielt der R.[umäne]
den Ort Predeal. Der liegt
im Paß drin, etwa wie

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II
St. Blasien. Ganz Pr.[edeal] besteht
aus hübschen Villen der reichen
Bukarester.

Predeal wurde hartnäckig
gehalten. Ein kleines Erdenstück
vor dem Nordrand Pr. wur-
de tapfer verteidigt. Also wie-
derum Artillerie. Der Czaply-
at wurde am 13/10 genom-
men. Am 25/10 war der
Angriff auf Pr.[edeal] angesetzt. Alle
Kaliber spielten, nachdem Pr.[edeal]
schon Tage lang zuvor unter

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Feuer gelegen hatte. Ich beschoss mit meiner Batterie ei-
nen Graben von 60 m Länge mit 300 Schuß. Die letzte
Viertelstunde vor Sturmbeginn hagelte es kleine und
grosse Geschosse auf den unglücklichen Ort. Die Rum.[änen]
begannen zu wanken. Sie verliessen einzeln
die Gräben. Die letzten 5 Minuten war Pr.[edeal] in
Rauch gehüllt. Schlag 10 Uhr hörte das Feuer auf dem
Nordrand auf und wurde gegen den Südrand ver-
legt. Die Infanteriesturmwellen gingen vor. Kein
Gewehrschuss fiel. Predeal war 5 Minuten später ohne
Verluste erobert.

Am andern Morgen früh besah ich mir
Predeal. Die Zerstörung ist arg. Kein einziges Haus

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ist mehr ganz, die meisten
völlig zertrümmert.
Mein Graben war ein-
geebnet und voll Toter.
Es war begreiflich, daß darin
kein Schuss gefallen war
auf die stürmende Infante-
rie.

Am 2. Tag nach der
Erstürmung gingen wir
einige km weiter vor.
Höhe für Höhe alle in Feld[...]
[...]hebung wird genom-
men. Azuga(1) ist unser



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Anmerkung:

(1) Die rumänische Stadt Azuga liegt an der Passstraße zwischen Kronstadt und Bukarest im oberen Tal des Flusses Prahova.

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III

Sinaia(1) winkt. Ironie des
Krieges! Die Villa Bratianu’s(2)
in Predeal, hochgelegen wie
sie war, diente als Beobach-
tungsstelle zur Beschiessung
der abziehenden Rumänen.
Gestern ist von Kronstadt her
der erste Zug in Predeal einge-
laufen, langsam geht es
vorwärts. Wenn wir die
Ebene erreicht haben, dann
werden wohl wenige
kräftige Schläge genügen


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Anmerkungen:

(1) In diesem rumänischen Ort befand sich die Sommerresidenz der rumänischen Könige Schloss Peleş.
(2) Rumänischer Ministerpräsident, der den Kriegseintritt Rumäniens auf Seiten der Mittelmächte vorangetrieben hatte.

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Rumäniens Armee zu zertrümmern.

So steht es. Persönlich geht es mir gut. Verluste haben
wir seit Wochen nicht zu beklagen. Die Pferde haben sich
bei reichlichem Futter erholt und der Räudeseuche, die
wir aus Serbien mitgebracht hatten[,] sind wir Herr ge-
worden.

Ich habe jetzt neue Offiziere. Einen jüngeren,
L[eu]t.[nant] Harms und einen alten Bekannten, L[eu]t.[nant] Kohl, der
in Serbien bei meiner früheren Batterie war, bei Ver-
dun verwundet wurde und nun wieder zum Regi-
ment zurückgekehrt ist.

Nun herzlichste Grüße Euer
dankbarer
August