Brief vom 18.05.1917

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Im Felde 18.V.1917

Liebe Eltern!

Eure Briefe vom 7/5 und vom 12/5, Inzwischen
auch mehrere Päckchen mit Bonbons und Spiritu-
osen habe ich erhalten. Vielen Dank dafür.

Zunächst die Bilder. Ich sende dir die Abzüge
mit Bezeichnung zurück und gleichzeitig bitte
ich um Herstellung so vieler Abzüge, als darauf
vermerkt sind. Es hat jeder der Herren seinen
Anfangsbuchstaben u.[nd] Zahl ihrer Abz.[üge] vermerkt.
So wäre es gut, wenn Vater die Abzüge mit
den Vermerken wieder zurückschicken wollte.

Zu den Bildern ein paar Worte. Ein
Teil ist noch aus Jarestea(1), Typen aus dem
Dorf[,] unser kleines aber wichtiges Häuschen,

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Anmerkung:

(1) Jarestea: Gemeinde im Kreis Vrancea in der Region Westmoldau in Rumänien, nördlich von Focşani.




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Georg unser Zigeunerknabe, der mit der Batterie gezogen ist, den ich aber jetzt nicht
mehr mitgenommen habe, weil er zu faul ist. Zwei Bilder zeigen die eigen-
tümlichen Ziehbrunnen. Ein Bild zeigt unseren Veterenär bei der Arbeit eine
Blutprobe zur bakteriologischen Untersuchung zu entnehmen. Der zweite Teil der
Bilder ist aus Oládalya(1) bei Mühlbach unserem derzeitigen Ruhequartier, Gestalten
aus der Bevölkerung: Die Aufnahme mit unserem dicken Quartierwirt war ein
Scherz. Einige Aufnahmen sind gemacht in der Bauernburg Kelling. Die großen
Bilder sind ohne weiteres erkenntlich. Die Aufnahme von Schäßburg(2), dem sie-
benbürgischen Rothenburg(3), ist leider mißglückt.

Was nun Tante Anna anlangt, so hat mir ihr Hinscheiden aufrichtig leid getan.
Sie war immer lieb gegen uns gewesen. Zu deinem freigebigen Vorschlag, lieber Vater,
sage ich im Prinzip ja. Jedoch in der Praxis, um sich zu entscheiden, müssen noch ver-
schiedene Voraussetzungen klar gestellt werden. Zunächst, was wird mit mir
selber werden nach dem Krieg, wenn ich ihn glücklich überstehen sollte. Zwei
Laufbahnen öffnen sich vor mir. Die eine ruhige ist die eines Amtsrichters und

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Anmerkungen:

(1) Olah-Dálya: Ort in Siebenbürgen nordwestlich von Mühlbach.
(2) Schässburg: bedeutende Stadt in Siebenbürgen (heutiges Rumänien) im Kreis Mieresch (rumän. Mureş).
(3) Bezug auf Rothenburg ob der Tauber

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s.[o] w.[eiter], die andere beginnt im Ausw.[ärtigen]
Amt und führt in die weite Welt. Diese
letztere ist immer noch die, die ich vor allem
einschlagen möchte. Es liegt auf der Hand,
wie verschieden je nachdem der Besitz des
Hauses für mich zu bewerten ist. Sodann
ist noch gar nicht klar, was das Haus kosten
wird, zu welchem Preis, meine ich, du,
Vater, das Haus übernimmst. Die Miet-
verhältnisse, ob Tante Adele wohnen
bleibt oder nicht und zu welchem Miets-
preis, sind nicht geklärt. Dann habe ich
das Haus zum letzten Mal vor 8 Jahren
etwa gesehen und der bauliche Zustand



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bedarf doch sicher der gründlichen Herrichtung.
Wie viel wird das kosten? Dann bin ich mir
nicht im Klaren, wie viel dauernde Auf-
wendungen solch ein Haus erfordern wird.
Das sind doch alles Fragen, die eine end-
liche Klärung erst nach dem Kriege finden
werden. Also bis dahin muß wohl die
Entscheidung verschoben werden.

Eine andere Frage aber, die der Namens-
änderung, kann ich, wenn Ihr, liebe El-
tern, einverstanden seid, schon jetzt in
Fluß bringen. Es würde mir dazu erfor-
derlich sein zunächst festzuhalten, wer diese
letzte Trägerin des Namens Vanotti,



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die Marie Vanotti, ist, wie und ob ver-
wandt und ob sie was einzuwenden hat.
Im übrigen geht der Weg über Amtsgericht
Freiburg zum Justizministerium. Es ist
die Namensänderung ein reiner Gnaden-
akt und kann also verweigert werden
ohne Gründe. Ich habe aber die Empfindung
als ob die Übernahme des Namens Vanotti
ein Akt der Pietät gegen die ausgestorbe-
ne Familie der Mutter wäre.

Zum Schluss noch die Mitteilung,
daß wir wieder mal nach dem (a)
Lied vom lustigen Müller handeln.

Herzliche Grüße euer dankbarer
August

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Anmerkung:

(a) durchgestrichen: „Wille“