Brief vom 27.04.1917

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E.[ingang] 3 V Im Felde 27.IV.1917

Liebe Eltern!

Euern Brief vom 18.4. habe ich erhalten.
Herzlichsten Dank. Auch habe ich inzwischen allerhand
lesbares bekommen. Ich habe, glaube ich, schon
gedankt für die griechischen Fabeln u.[nd] Märchen.
Fendrich "an Bord"(1) kam zweimal. Herzlichsten
Dank für alles. Hier bewegt sich der Dienst und
das Leben im gewohnten Geleise.

Es wird exerziert, damit die Leute wieder et[w.]
Disziplin lernen. Am Geschütz wird gearbeitet. Das Ma-
terial ist abgenutzt und bedarf der Wiederherstellung.
Wir machen Rahmenübungen, wobei die Geschütze eben
nur markiert sind und reiten im Gelände herum.

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Anmerkungen:

(1) Fendrich, Anton: An Bord – Kriegserlebnisse bei der schwimmenden und fliegenden Wehrmacht Deutschlands, Stuttgart 1916. 139 S.

Seite 2:

Das Gelände ist recht einförmig. Weit und breit
ist kein Baum zu sehen. Das ist eben gerade nur in
unserer Gegend der Fall. Die Walachen haben offen-
bar für Gärten kein Verständnis; so liegt denn
unser Rumänendorf in einem von kahlen Hügel
begrenzten kahlen Kessel. Auffällig sind die großen
Weiden. Vielleicht 1/4 allen Landes bis zur Hälfte
ist nüchterne Weide, auf dem sich Schafe in Mengen
herumtreiben. Der Viehstand ist gut. Schöne breit-
gehörnte Rinder, weißgrau wie sie in der ungarischen
Tiefebene auch sind. Daneben schwarze Büffel und
ein Rinderschlag wie die Zinnenthaler(1). Schweine
sind so sehr viele nicht da. Jeder Hof hat ein
Paar. Manche auch nur Ferkel zur Aufzucht.

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Anmerkung:

(1) spezielle Rinderart (ursprgl. aus der Schweiz)

Seite 3:

Schweine sind schwer zu bekommen. Hühner und
Gänse gibt es viel. Wir haben reichlich Eier. Also
etwa 200 Eier auf einmal zu kriegen, fällt nicht
schwer. Der Versand nach Hause aber dürfte schwie-
rig sein. Mit der Post geht es nicht und mit der
Bahn dauert es Monate. Teuer ist alles. Das
Ei 30 Heller(1), was etwa 19 Pfennig entspricht.

Soeben bringt mir meine Wirtin, die ausnahms-
weise freundlich ist, eine Schüssel voll saurer Milch
herein. Der Krieg hat mich auch das essen lehren
und so futtere ich meine Schüssel auf mit Hülfe
selbstgebackenen Brotes. Die Milch ist viel saurer
als bei uns. Es ist wahrscheinlich das, was man bei
uns Yogurt nennt, schmeckt aber gut und
man soll ja hundert Jahre alt werden davon.

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Anmerkung:

(1) alte Einheit in der süddeutschen Region,
8 Heller = 4 Pfennig = 1 Kreuzer

Seite 4:

Im übrigen sagt man doch, Totgesagte lebten
recht lange. Auch danach sind die Aussichten für
mich nicht schlecht. In Petersdorf(1), dem alten Quar-
tier galt ich als tot, so tot, daß meine Quar-
tierswirtin sich sogar nach mir erkundigt hat.
Nun ich habe ihr einen Besuch gemacht und sie
hat anerkannt, daß ich noch recht lebendig sei.

Was aus uns wird, weiß immer
noch niemand. Nun wir sind es ja gewohnt,
überall zu sein.

Herzlichste Grüße und noch-
mals vielen Dank für den lieben Brief mit
der Schilderung des Fliegerangriffs. Hoffentlich
können wir es den Engländern gründlich heim-
zahlen.
Herzlichst August

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Anmerkung:

(1) Ortschaft bei Mühlbach