Brief vom 17.04.1917

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E.[ingang] 22 IV [19]17 Im Felde 17.4.[19]17

Liebe Eltern!

Ruhequartier. Leider in einem
Walachendorf, wo kein Mensch deutsch
versteht. Ich sah auf der Fahrt Ploěsti(1)
die Petroleumstadt mit einem
schönen Boulevard, dann wieder
Kronstadt(2) in seiner prächtigen Um-
gebung. Da leuchten Schneeberge
ins saatenjunge Burzenland.
Der Deutschritter Marienburg grüß-
te auf der Fahrt. Schäßburg(3) lag
in einem lieblichen Talkessel.
Schäßburg ist das siebenbürgische

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Anmerkungen:

(1) Stadt, 60 Kilometer nördlich der rumänischen Hauptstadt Bukarest
(2) Stadt liegt in Siebenbürgen
(3) Stadt liegt im Kreis Mieresch (Mureş) in Siebenbürgen

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Rothenburg o/T.(1) Das müßten wir uns einmal aus der Nähe an-
sehen. Geschäftig behäbig liegt Mediäsch(2) da. Das sind im Kokeltal(3)
die sächsischen Hauptorte. Nun hier.

Zunächst einige Bemerkungen zu den Bildern. Der Ikono-
taph(4) ist das Hauptstück jeder griech.-orientalischen oder -katholischen
Kirche. In großen Kathedralen ist diese Wand, die den Chor völlig
von dem übrigen Raum abschließt, kostbar bemalt aber auch,
so sah ich es in der einzigartigen Höhlenkirche in Üsküb(5) kunst-
voll geschnitzt, in den kleineren und kleinsten Dorfkirchen
besteht sie aus einer Wand mit drei Türen und wenigen
fürchterlichen Buntdrucken. Man kann gar nicht tief genug
in mittelalterliche Bildkunst zurückgehen, bis man ähnlich
primitive Heiligenbilder ohne jegliche Perspektive, z. B. beim
Pferd beide Augen und Nase auf derselben Seite, von der man


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Anmerkungen:

(1) gemeint ist Rothenburg ob der Tauber
(2)heute Mediaş, deutsch Mediasch, eine Stadt in Rumänien an der Târnava Mare (deutsch Große Kokel)
(3) Das Kokeltal im Karpatenvorland hat den Namen von den zwei Flüssen "Kleine Kokel" und "Große Kokel" und ist von zahlreichen Bergen umgeben.
(4) Ikonostase
(5) Üsküb ist die türkische Bezeichnung des Ortes Skopje.

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das Pferd sieht, findet. Bessere
Bilder leiden alle unter dem
starren byzantinischen Schema.
So habe ich auf den griechischen
Malereien, die im Louvre er-
halten sind, namentlich auf
hellenistischen Sargdeckeln
Köpfe gesehen. Nur in ganz
wenigen Bildern wie z.
B. in Nisch(1) in der Kathedra-
le, sah ich eine freiere Auf-
fassung. Das Bild stammt
aus einer Kirche mittle-
rer Größe in Jarestea(2)

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Anmerkungen:

(1) Nisch, serbisch Niš
(2) heute Jaristea, rumänisch Jariştea‎, Stadt in der Nähe von Focşani

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2.

Das Haus ist typisch für
Rumänien. Mit Vorbau
und Säulen sind alle, selbst
ärmliche Bauernhäuser aus-
gestattet u. selbstverständlich
immer einstöckig.

Die Tracht der Bauern in
Jarestea ist recht schmucklos,
erinnert mit den Pump-
hosen an Holländer. Ich habe
sie so nur in der östlichen
Walachei gefunden.

Bilder aus Siebenbürgen.
Das Denkmal, das sich das Alpen-

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korps gesetzt hat am Eingang zum Rotenturmpaß(1), die prächti-
ge Verteidigungskirche in Heltau(2), einem der wohlhabendsten
Orte der Gegend um Hermannstadt(3), der Ebene am grünen
Cibin(4), Eine griech.-orient. Kirche in Caineni(5) unmittelbar
über der Grenze im Rotenturmpaß mit selterer äußerer
Bemalung der Wände. Eine der älteren Kirchen.

Noch einige Trachten das spinnende hübsche Sachsenmäd-
chen, der wilde Hirte, rumänische Bäuerinnen und Zigeu-
nerkinder. Dann zuletzt eine Aufnahme meiner
letzten Stellung im Predealpaß(6). Vor dem Einmarsch nach
Rumänien, wie im November der di[ck]e Schnee fiel.

Ich muß eher schließen, ich habe Besichtigung

Herzlichste Grüße Euer August

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Anmerkungen:

(1) Rotenturmpaß, rumänisch Pasul Turnul Roşu, Talpass im zentralen Teil der Südkarpaten
(2) Heltau, rumämisch Cisnădie, liegt im Kreis Hermannstadt, rumänisch Sibiu
(3) Hermannstadt, rumänisch Sibiu
(4) Der Cibin (deutsch Zibin, ungarisch Szeben) ist ein 82 Kilometer langer, rechter Nebenfluss des Alt (rumänisch Olt) in Siebenbürgen.
(5) Caineni, rumänisch Câineni‎, kleiner Ort südlich von Talmaciu und nördlich von Brezoi
(6) Predeal befindet sich heute im Kreis Braşov und ist die am höchsten gelegene Stadt Rumäniens