Brief vom 27.03.1917

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E.[ingang] 2.IV Im Felde 27.III.1917

Liebe Eltern!

Eure Briefe vom 16. u.[nd] 17.3. sind angekommen.
Mit dem Ekkehard(1) wird mir Vater eine große
Freude machen. Gestern erhielt ich das Märchenbuch
aus Neugriechenland(2). Ich lese sie gerne die
Märchen. Das
Unwirkliche darin ist ein solcher Gegensatz zum Leben,
daß es eine Erholung ist. Dank für die Adresse von
Sambraus. Die A l t g r i e c h i s c h e n M ä r c h e n würde ich ger-
ne haben. Es ist meine erste Kindsheitserinnerung,
daß Mutter mir die griechischen Märchen von Schwab
vorgelesen hat. Da würde mir das Buch eine
besondere Freude machen. Hier herrscht wie im-
mer Ruhe. Nur selten stört ein Schuß den

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Anmerkungen:

(1) wahrscheinlich Bezug auf das Werk „Ekkehard“ von 1855 von Joseph Victor von Scheffel (16.2.1826-9.4.1886)
(2) Neugriechenland ist die Bezeichnung für Griechenland nach der "Griechischen Revolution" 1821 und der damit verbundenen Lossagung vom Osmanischen Reich.

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Frieden. Ich habe einen animus(1) als ob
wir nicht mehr lange hier wären, was
soll das Alpenkorps hier, wo nichts zu tun
ist. Und schön wäre es doch, beim Schluß-
rambo dabei zu sein. Die Gerüchte
schwirren, daß Rußland Friedensge-
lüste hätte. Vielleicht. Und doch wäre
es beinahe zu schön. Indes glaube ich
und habe nie aufgehört zu glauben
an unsere Zukunft und an Deutsch-
lands Berufung zum Weltreich. Das

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Anmerkung:

(1) animus : (lateinisch) für Sinn, Geist, Verstand, Gesinnung oder Verstand. Hier bedeutet es soviel wie "Vorahnung".


Seite 3:

wäre der Anfang eines siegreichen Endes.
Der Kampf mit England geht ja so schnell
nicht zu Ende. Und wenn der Friede ge-
schlossen wird, so kann es sich nur um
einen Waffenstillstand handeln. Es
ist unser geschichtliches Schicksal mit Eng-
land um Sein oder Nichtsein zu kämpfen.
Ich glaube aber nicht, daß ich, auch wenn
ich 80 werde, das Ende dieses Kampfes
erleben werde. Bei K j e l l e n, Großmächte,(1)
ist aber ein erfreuliches Vertrauen auf deut-
sches Wesen zu finden. Herzliche Grüße

August

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Anmerkung:

(1) Bezug auf das Buch Rudolf Kjellén, Die Grossmächte der Gegenwart, Leipzig, Berlin 1914.