Brief vom 03.01.1917

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I E.[ingang] 11.II. 3. Januar 1917

Liebe Eltern!

Endlich habe ich Gelegenheit
Briefe an Euch abzulassen.
Wann er Euch trifft, weiß
ich nicht.

Die Feiertage liegen
hinter mir, aber wie; tief
im unwegsamsten Kar-
pathengebiet Rumäniens
haben wir sie zwischen Ge-
fechten und Märschen ver-
lebt. Ich will der Reihe

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nach Erzählen. Nach der Operationspause, die nach
der Eroberung Bukarests eingetreten war, ging
es wieder weiter auf den Buzauabschnitt zu. Das
Alpenkorps, nomen est Plage, natürlich in den Ber-
gen. Anfangs ging es auf recht anständigen
Straßen, dann aber hörte die Straße, die einen
solchen Namen verdient auf. Und da stand die (b)rechte(b)
feindliche Linie, Rum.[änen] und Russen gemischt. Leichte Posten,
aber sie zwangen zur Entwicklung. Die Haubitzen
taten ihre Schuldigkeit. Die Postenlinie wurde aufge-
geben, der Vormarsch angetreten. Bagage, sogar
die Gefechtsbagage blieb zurück nur Geschütze und einige
Mun.[itions] Wagen gingen vor. Die Wege grundlos, echt serbisch

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Anmerkung:

(a) unsicher

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tiefer Schlamm. Wassereinschnitte[,]
enge Wegbiegungen mit
steilen Böschungen, das war
der Weg.

Am 24. kamen wir
in ein Bergtal. Der Rumä-
ne hatte sich gestellt. Eine
Kette von Bergen boten ihm
eine gute Stellung. Infante-
rie schaffte es nicht allein,
jetzt mußten die Jünger
des schwarzen Kragens(1) ran.
Wir schaffen bis zum Abend.

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Anmerkungen:

(1) umgangssprachlicher Name für Artilleristen

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II

Der Gegner wich nicht.

Ich war vorsichtig gewesen
in der Wahl meiner Feuer-
stellung und hatte einen
hübschen Gutshof in der Nähe.
Dort verlebte ich Weihnachten
und feierte meinen Ge-
burtstag.

Zunächst ein paar Worte über
das Land. Die Berggegend ist
seltsam, ganz anders als der
Karpathengrenzkamm. Da
haben sich in süd-nordlichen
Richtungen Schollen aufgetürmt,

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aus weichem lößartigen Gestein von Süden ansteigend,
brechen sie nach Norden scharf ab. Bäume wachsen keine
alle Höhen sind kahl. Überall fließt die Erde zu Tal, tatsäch-
lich fließt sie[,] die weichen Massen rutschen und brechen.
Gletscherspalten öffnen sich aus Rasenschollen und alles ist
sumpfig und feucht. Der Boden ist schwer und muß sehr
fruchtbar sein. Überall sind Dörfer. Anscheinend ist das
Gebirge reicher besiedelt als die walachische Ebene. Die
Lebenshaltung der Bauern ist auch zweifellos gehobener als
in Serbien. Die Quartiere sind durchweg besser, überall
finden sich bessere Häuser wohlhabender Besitzer. Und dann
grunzt es, quiekt es, schnattert und gackert es, daß es eine
Freude ist für einen hungrigen Soldaten. Heu und Mais
fürs Pferd sind ebenfalls reichlich vorhanden. Hafer allerdings

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mangelt. Die Truppe em-
pfängt nur Brot, Kaffee und
Zucker, sonst ernährt sie sich
aus dem Lande. Als Zutaten
findet sich häufig Wein. Es
gibt viele Reben und der
Wein ist gut. Ferner Honig
und Nüsse. Es läßt sich also
materiell aushalten. Auch einen
Pflaumenschnaps von ver-
zweifeltem Geschmack findet
man nicht selten. Dieser Schnaps
ist Nationalgetränk.

So war auch der Weih-
nachtstisch besetzt. Auch der

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III

Baum fehlte nicht mit Lich-
tern. An sonstiger Beleuchtung
fehlt es nicht im Petroleumland(1).
Mein (a)Quartier(a)wirt war abwesend.
Er ist Ingenieur und hat da
hinten in einsamem Berg-
tal ein Landgut[,] da waren
wir in ganz behaglich einge-
richtetem Zimmer. Meine Ka-
noniere waren im selben Hof.

Am anderen Morgen schossen
wir weiter. Der Rumäne
dachte nicht an Abbauen. Im Ge-
genteil griff er an, da er wohl

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Anmerkungen:

(a) überschrieben, durchgestrichen: „Gast“

(1) gemeint ist Rumänien

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Verstärkungen bekommen hatte. Allein die (a)Batterieen(a) hatten
sich vermehrt und der Angriff der Rumänen geriet in
unser Feuer und zerstieb. So wurde unter Kanonen-
donner das Friedensfest begangen - die Menschen sind
offenbar noch nicht guten Willens.

Am dritten Tag nach dem heiligen Abend war
der rumänische Widerstand gebrochen. Es ging weiter.
Die rum.[änische] Berglandschaft ist seltsam. Eintönig erhebt sich
Gipfel an Gipfel, eine Hügelkette hinter der andern, scharf-
schattig, baumlos. So muß man herauf, hinab und so fort
um vorwärts zu kommen. Ab und zu kommt von der
Ebene her zu irgend einem größeren Ort eine bessere
Straße. Wir aber mußten quer durchs Gebirge. So ging es
unter unsäglichen Schwierigkeiten mit (b)Hülfe(b) einer

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Anmerkungen:

(a) andere Schreibart: Batterien
(b) flektierte Form des Verbs helfen

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Pionierkompagnie nach
Buda(1) und von dort weiter
über Dumitresti(2)

Silvester war gekommen.
Mittlerweile waren die Ru-
mänen wieder zum Halten
gekommen und für uns
aber die Schwierigkeiten aufs
Höchste gestiegen, knöcheltief
lag zäher, zementartiger
Schlamm auf steilen Straßen,
der dem Menschen den Schuh
vom Fuß, dem Pferd das
Eisen vom Huf zog. Wir ließen

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Anmerkungen:

(1) Buda: Stadt in Rumänien in der Nähe des heutigen Buzău.
(2) Dumitresti: Stadt in Rumänien in der Nähe des heutigen Buzău.

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IV

alles zurück bis auf zwei
Lafetten(1), spannten vor jede
zwölf Pferde und zogen un-
entwegt durch Schlamm u.[nd]
Wasserlöcher, über Hänge, auf
Kämmen entlang weiter[.]
Ein einsames Bergtal war
das letzte, was wir erreichten.
Da brachten wir die Geschütze in
Stellung und quartierten
wir uns ein.

Ohne irgendein Getränk[,]
außer Kaffee[,] in einer

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Anmerkung:

(1) Fahrbares Gestell, auf dem eine Waffe montiert werden kann.

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qualmenden Bauernstube, ohne irgendeinen Einrichtungs-
gegenstand brachten wir Silvesterabend zu. Am anderen
Tag war der Russe und Rumäne fort.Die Mühe war
umsonst gewesen. Jetzt gehen wir in die Ebene zurück[.]

Noch ein paar Bilder aus Predeal(1) und Umgebung.
Eine Ansichtskarte zeigt den Schuler(2)[,] einen wilden
unzugänglichen Felsen, den einen Wächter am Ein-
gang des Predealpasses. Dort soll es Bären geben.

Ein paar Bilder vom (a) Durchschreiten einer
Furt bei Buzau(3).

So wünsche ich Euch ein fröhliches neues
(b)Jhahr(b) Euer herzlich grüßender

August.

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Anmerkungen:

(a) durchgestrichen: „Über durch“
(b) unsicher, erstes h vielleicht durchgestrichen

(1) Predeal liegt direkt auf der Passhöhe in 1.093 Meter beim Überschreiten der Karpaten.
(2) Berg in der Nähe von Kronstadt
(3) Buzău (dt: Busäu), Stadt in der Wallachei