Brief vom 10.10.1916

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I E.[ingang] 19.X Im Felde 10.10.[19]16

Liebe Eltern!

Ich benutze eine Gelegenheit mei-
ne Post unmittelbar nach Deutschland
zu schicken.

Nach den Gefechten bei Hermann-
stadt(1), die einen so erfreulichen Erfolg
hatten, ging´s gegen Kronstadt(2). Aus
dem Tal des Zibin(3) in das der Alt.

Das reiche Wein- und Obstland der
deutschen Siedelungen um H.[ermannstadt] lag
hinter uns und vor uns das von Ru-
mänen bewohnte Fagaraser Becken(4)[.]
Beim Vormarsch hatten wir zur Rechten
die unvermittelt aus der Ebene
bis zu 2400 m ansteigenden Berge
(a)der(a) Fagaras Gebirges. Die Rumä-

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Anmerkungen:

(a) gemeint ist "des"

(1) rum. Sibiu; bedeutende Stadt in Siebenbürgen; im südlichen Siebenbürgen, direkt nördlich der Karpaten
(2) Brașov (Kronstadt) war mit Hermannstadt das kulturelle, geistige und wirtschaftliche Zentrum der Siebenbürger Sachsen.
(3) Cibin, rechter Nebenfluss der Alt (Olt)
(4) Das Făgăraş-Gebirge liegt in der Gebirgsgruppe der Südkarpaten.

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nen leisteten nur schwächlichen Widerstand. Da wir mit Artillerie
aller Kaliber weit überlegen waren, schossen wir die rum.[änischen] Nachhuten
aus jeder Stellung bald heraus. Unsere Infanterie hatte nur wenig
Verluste. Doch soll das nicht überall so gewesen sein. Die rum.[änische] Infan-
terie soll glänzende Gegenstöße gemacht haben. Ich selbst habe sehr brave
Angriffe gesehen, die aber, soweit das uns möglich war, von der Artillerie
zum Scheitern gebracht wurden. Bei Todoriza war ein sehr nettes Ge-
fecht und dann namentlich bei Persanyi(1). Dort hatten die R.[umänen] eine starke
natürliche und durch Menschenhand befestigte Stellung. Wir mußten
über eine völlige Ebene angreifen. Wiederum begannen unse-
re Batterien zu spielen und nach zweistündigem Schießen verließ der
Feind seine Stellung, die unserer Infanterie, wenn sie hätte gestürmt
werden müssen, blutige schwere Verluste gekostet hätte. Ich hatte das
Glück den Rumänen eine Haubitze kaput zu schießen, die wir dann
erbeuteten.

Bei Persany beginnt der Gebirgszug des Geisterwaldes(2)
der das Fogaraser (a) Becken vom Burzenland(3) trennt.

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Anmerkungen:

(a) durchgestrichen "Gebir"

(1) Persany: Ort in Siebenbürgen nordwestlich von Kronstadt
(2) kleines Gebirge westlich von Kronstadt; rum.: Persani-Gebirge
(3) historische Region in Siebenbürgen, deren Zentraum Kronstadt ist, rum.: Tara Basei

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Durch den Geisterwald ging es in
einem Rutsch hindurch. Bei [...]
beginnt die Ebene des Burzenlandes.

Das Burzenland ist im 13. J[a]h[rhunder]t.
vom Deutschritterorden besiedelt
worden und heute noch sind 13 blü-
hende deutsche Gemeinden um
Kronstadt gelagert. Das Burzen-
land ist nach Norden offen
und nach Süden durch das Massiv
des Königsteins(1) abgeschlossen, mit-
hin kälteres Klima. Kein Wein,
wenig Obst. Charakteristisch sind
weite Zuckerrübenfelder. Eine
riesige Zuckerfabrik steht bei Heldes-
dorf(2).

Heldesdorf war auch der erste
deutsche Ort, in den wir, eine deutsche

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Anmerkungen:

(1) Höhenzug in der Nähe von Kronstadt, rum.: Muntii Piatra Craiului
(2) Gemeinde in der Nähe von Kronstadt, rum.: Halchiu

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II

Division einzogen. Lebhaft grüß-
ten die Sachsen[.] Blaurot, die säch-
sischen Nationalfarben, flatterten
die Fahnen. Deutsche Laute, deutsche
Sauberkeit, deutsche Wohlhabenheit
kündeten, daß wir fern der Hei-
mat wieder bei Stammesge-
nossen waren. Den deutschen
Sachsen in Siebenbürgen hat das Er-
scheinen deutscher Truppen wieder
den Rücken gestärkt und die Zu-
gehörigkeit zu deutscher Art und
Macht augenfällig gemacht. Von
neuem beginnt der Deutsche sich
nach Osten zu schieben. Wahrlich unser
Erscheinen im Burzenland seit

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600 Jahren zum ersten mal wieder das deutscher Soldaten ist
ein historischer Augenblick. Am 8.10., einem Sonntag, hatte der
Rumäne von Norden her Verstärkung erhalten, er stellte sich zum
Kampf. Kronstadt war noch in seiner Hand. (a)Stankt(a) Peter(1), auch
ein deutsches Dorf war der Mittelpunkt seiner Linien[.] Der Paß-
eingang nach Tömös(2) und Predeal(3) war von ihm gehalten. Hei,
das war ein stolzes Schießen[.] Eine Batterie im Fahren wurde
so von unseren Batterieen[!] erfaßt, daß nicht ein Fahrzeug
davon entkam. Auch ich kann mich rühmen mitgeholfen zu
haben die Rumänen ihrer Artillerie zu entledigen. Südl.[ich]
Petersberg griff die rumänische Infanterie immer wieder in
dichten Massen an und immer wieder schlugen die schweren
Geschosse unserer weittragenden Geschütze mitten unter die vor-
gehenden Rumänen und wieder und wieder fluteten
die Bataillone unter vergeblichen blutigen Opfern zurück, der
Tag war unser. Gegen Abend zogen die Unsern ein in Kronstadt[.]

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Anmerkungen:

(a) gemeint "Sankt"

(1) Stadt in Siebenbürgen - auch Sanpetru (rum.) oder Petersberg (dtsch.) ca 5 km nördlich von Kronstadt
(2) Stadt in Siebenbürgen
(3) Höchstgelegene Stadt Rumäniens (1093 Meter) in den Karpaten. Der an ihr gelegene Pass stellt die wichtigste Verbindung zwischen Siebenbürgen und der Walachei dar. Nördlich der Stadt verlief die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien.

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Am andern Morgen auch
meine Batterie.

Man muß zugeben. Die
Rumänen haben im Allge-
meinen nicht viel verdorben[.]
Sie haben natürlich viel Vieh
und bewegliches Gut mitge-
führt[,] aber sinnloses Rauben
und Zerstören habe ich nicht ge-
sehen.

3 Batt.[erien] haben sie stehen
lassen müssen. 3 Batterieen[!]
haben wir ihnen zusammen-
geschossen. Auch die sonstige Beute
war reich. Einstweilen die
herzlichsten Grüße Euer August.